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  • Writer's pictureRico Schmandt

Updated: Apr 5, 2020



„Ein Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unsrer Sprache, und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen.“

(Wittgenstein, PU, §115)


Es ist offenkundig, dass die Fotografie in der postmodernen Gesellschaft zu einem omnipräsenten Medium geworden ist. Besonders bemerkenswert ist dabei die Stellung, die das Bild im Privatleben eingenommen hat. Andreas Reckwitz legt in „Die Gesellschaft der Singularitäten“ eindrucksvoll dar, wie die postmoderne Gesellschaft von einem Imperativ des Besonderen bestimmt wird. Prämiert wird, was als einzigartig anerkannt wird - Stichwort „erfolgreiche Selbstverwirklichung“. Das fordert vom Subjekt allerdings einen dauerhaften Wettbewerb um Aufmerksamkeit, darum als einzigartig angesehen zu werden. Die Postmoderne drängt uns förmlich zur Selbstdarstellung. Die identitätsstiftende Einzigartigkeit bedarf dabei einer Performanz vor einem „Publikum“. Insbesondere für junge Generationen bestätigen digitale Medien, in denen Fotos eine vorrangige Bedeutung zukommt, diese Tendenz. Gerade Instagram erscheint hier paradigmatisch. Doch was passiert dort? "Das bin ich!" Ich und mein kuratiertes Selbst. Ich bilde mir mein eigenes Narrativ. Das Profil erhebt den Anspruch, das Selbst authentisch, umfangreich und vielleicht sogar hinreichend(?) wiederzugeben: Das Foto als Abbild der Realität.


Der Gegenstandsbereich der "Philosophischen Untersuchungen" von Ludwig Wittgenstein ist die Bedeutung der Sprache. Es ist nicht der Fall, dass sich Wörter an einer Art Definition orientieren und sich unsere Verwendung und unser Verständnis dieser Wörter nach dieser richten. Es verhält sich umgekehrt: Die Bedeutung der Wörter richten sich nach dem Gebrauch in der Sprache. Wir als Sprachgemeinschaft regeln die Bedeutung der Wörter. Was sich ergibt, sind Begriffe, die keine klaren Grenzen haben, deren Verwendung auf vielseitige Art und Weise vom Kontext ihres Gebrauchs abhängig ist. Die Grenze zwischen einer richtigen und falschen Verwendung folgt eben nicht streng abgrenzenden Definitionen. Die Bedeutung eines Wortes ist wie ein unscharfes Bild. Unscharfe Grenzen werden dabei jedoch eindeutig nicht als Mangel verstanden. Vielmehr verhält es sich mit der Sprache reell so, dass sie dadurch treffender, richtiger, d.h. wahrhaftiger wiedergegeben wird:



„[K]ann man ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen?“

(Wittgenstein, §71)


Und ist es nicht mit der Fotografie so wie mit der Sprache? Das Foto wird angesehen als ein Beweismittel. Von bewussten Manipulationen abgesehen erscheint auf dem Foto das, was sich wirklich vor dem Objektiv befunden hat. "Das Wesen der PHOTOGRAPHIE besteht in der Bestätigung dessen, was sie wiedergibt", schreibt Roland Barthes in "Die helle Kammer" (S.95). Doch ist es nicht mit den Menschen wie mit der Sprache? Sind unsere unscharfen Grenzen nicht viel wahrhaftiger, als jedes Foto uns zeigt? Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen - in Wittgensteins Sprachphilosophie wie in der postmodernen Identitätsfindung? Was bildet das Foto ab, oder sollte die Frage vielmehr lauten: Wie wird das Foto gebraucht? Was sagen wir uns mit unseren Bildern? Was ist das für eine Sprache? Was macht sie mit uns?



Literatur:

  • Barthes, Roland (1985): "Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie", Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

  • Reckwitz, Andreas (2017): "Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne", Berlin: Suhrkamp Verlag.

  • Wittgenstein, Ludwig: "Philosophische Untersuchungen", In: "Wittgenstein Werkausgabe Band 1", herausgegeben von Joachim Schulte (1984), Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

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  • Writer's pictureRico Schmandt

Updated: Nov 21, 2019



Es ist Zeit für etwas Commitment. Beginnend mit diesem Foto, aufgenommen in Hamburg (2018), möchte ich auf dieser Seite ein paar Fotografien zusammentragen.

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